Analyse Gesundheit Politik und Gesellschaft

Bedenkliche Gesetzesplanung. Wir sollen alle Organspender sein, wenn wir nicht widersprechen.

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10.000 Menschen warten in Deutschland derzeit auf ein neues Organ, aber nur knapp 800 Spender gab es im letzten Jahr. Ein Ungleichgewicht, wie man unschwer erkennt. Das möchte unser Gesundheitsminister, Herr Spahn, jetzt gerne ändern.

Wir sollen alle Organspender sein.

So wie die Spanier seit einigen Jahren und bei denen soll es inzwischen wunderbar klappen. Pro einer Million Einwohner gibt es bei uns ungefähr 10 Spender, Spanien hingegen liegt mit 47 Spendern weit vorne, seitdem jeder automatisch Spender ist, es sei denn, er hat Widerspruch eingelegt.

Alleine der nur kann den toten Körper davor retten, gnadenlos ausgeweidet zu werden.

Nicht jeder möchte das, warum auch immer. Das Recht auf Widerspruch steht allen zu und das ist gut so und auch fair.

Allerdings gibt es bereits jetzt moralische Bedenken, die man nicht so ohne weiteres von der Hand weisen kann. Es gibt Menschengruppen, die eventuell besonders gefährdet sind.

Was ist, wenn der Arzt einen angeblich hirntoten Menschen vor sich hat, der diesen Widerspruch nicht unterschrieben hat, nicht unterschreiben konnte? Wird man ihn am Leben lassen oder wird man ihn gleich in den OP schieben, wenn seine Organe noch gesund sind?

Genau das sollte mit Trenton passieren, der nach einer Schädelfraktur mehrfach wiederbelebt werden musste, bis seine Eltern schließlich, auf Drängen der Ärzte, einer Organentnahme zustimmten. Gleich fünf Menschen warteten darauf, dass er operiert werden würde. Einen Tag vor der OP bemerkte man an dem Jungen dann erste Lebenszeichen und kurze Zeit später war er wach. Inzwischen kann er wieder sprechen und hat sogar seinen Humor wiedergefunden. Auch das Laufen klappt schon ganz gut und es darf – mit etwas Glück –  davon ausgegangen werden, dass er wieder vollständig gesund werden wird. Jedenfalls freut er sich, dass er noch lebt und das ist entscheidend.

An den Unfall kann er sich nicht mehr erinnern, aber daran, dass er während des Komas über ein Feld gelaufen sei und er meinte, er sie Gott begegnet. Der muss ihn wohl gerade im rechten Moment noch zurückgeschickt haben.

Was aber ist mit den vielen anderen, die nicht das Glück hatten, noch im rechten Moment aufzuwachen? Dieses Aufwachen geschieht häufiger als man denkt und nicht alle sind lebenslang behindert, sondern froh, dass sie es noch einmal geschafft haben und dankbar, dass man ihnen nicht den Saft abdrehte.

Im Angesicht der Tatsache, dass auch heute noch sehr viele Operationen völlig unnötig vorgenommen werden, die Anzahl aber für die Karriereleiter durchaus entscheidend ist, muss man sich fragen, ob man in einem solchen Fall – wenn Menschen absolut hilflos sind und sich nicht wehren können – als Arzt noch völlig neutral sein kann.

Mit Organen wird ein reger Handel betrieben. So manch armer Inder legte sich schon unters Messer, um eine Niere zu spenden, die dann einem reichen Kranken eingepflanzt werden konnte. Viele Tausend Euro ist so ein illegales Organ wert und wer das Geld hat, zahlt gerne, denn es schenkt Leben.

Werden Ärzte und Patienten jetzt ein Schlaraffenland erleben, wenn ein solches Gesetz durchkommen sollte?

Aber ist das wirklich die moralisch richtige Entscheidung, ein ganzes Volk zu Spendern zu machen, wenn sie nicht rechtzeitig widersprechen? Und kann es nicht sein, dass viele das gar nicht mitbekommen und deshalb auch keinen Widerspruch einlegen?

Bei der Blutspende gibt es eine Altersgrenze von 65 Jahren bei Erstspendern und bis zu 73 Jahren bei gesunden Mehrfachspendern. Bei der Organspende sieht das völlig anders aus. Das älteste gespendete Organ stammte von einem 88jährigen Schweizer.

Ergo sind noch nicht mal Oma und Opa sicher vor der Schnippelei. Würde man sie in ihren Alters- und Pflegeheimen tatsächlich über die Neuerung informieren, oder doch lieber darauf verzichtet, denn „die verstehen das doch gar nicht mehr“.

Viele werden sagen: „Wenn ich tot bin, dann ist mir das doch egal!“ Aber anderen ist es nicht egal. Zur täglichen Toleranz gehört, auch eine abweichende Meinung zu akzeptieren.

Ich habe ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken und zwar deshalb, weil ich hier sehe, dass still und leise der Staat Besitz von unseren Körpern ergreift. Von etwas, was uns gehört. Das tut er unter dem Deckmangel, Leben zu retten. Aber genau da kommen mir Bedenken. Vor allen Dingen auch deshalb, weil sie uns schon wieder etwas nehmen. Es wird allmählich immer mehr.

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus den frühen 80er Jahren als ich beobachtete, wie eine Mutter mit einem Kind im Rollstuhl ein Geschäft betreten wollte und ein sehr alter Mann sich ihr in den Weg stellte und anfing zu schimpfen, dass man „mit sowas“ nicht auf die Straße gehen solle. Er fügte hinzu: „Mit Adolf wäre das nicht passiert.“

Und so komme ich ins Grübeln und überlege, ob wir hier nicht doch eher wieder in eine Richtung zurückgehen, die wir gerade erst verlassen haben. Wird es bald wieder Leben geben, das man retten sollte und solches, das nicht lebenswert zu sein scheint? Werden Ärzte in Zukunft darüber entscheiden, wer leben darf und wer nicht? Werden sie ihren Ehrgeiz bremsen können?

Muss ich jetzt meinen Widerpruch ständig dabei haben und was passiert, wenn ich einen Unfall habe und der irgendwo zu Hause liegt? Ist man in einem Krankenhaus überhaupt noch sicher als Unfallopfer mit Aussicht auf lebenslange Behinderung aber fünf wunderbar funktionierenden Organen?

Wird Leben irgendwann einmal anders bewertet werden, wenn sie jetzt damit anfangen, über unseren Körper zu bestimmen? Wird es dann solches geben, das lebens- und erhaltenswert ist und solches, das man nehmen kann?

Ist ein „Hirntoter“ wirklich tot? Es gibt viele Fälle, die aufgewacht sind. Was geschieht mit Menschen, die in ihrem Körper gefangen sind und sich nicht bewegen können, aber die geistig völlig wach sind, alles mitbekommen, was um sie herum geschieht. Bei diesem Locked-In-Syndrom kann man noch nicht einmal den kleinen Finger bewegen, man kann auf nichts reagieren.

Was wissen wir schon über vermeintliches Koma, wenn Menschen zurückkommen und erzählen, wie reich ihre Erfahrungen in dieser Zeit waren? Der Neurochirurg Eben Alexander hat sein eigenes persönliches Erlebnis in einem Buch verarbeitet. Er lag aufgrund einer Meningitis im Koma, erwachte nach sieben Tagen wieder und war danach ein anderer Mensch. Vorher Atheist, war er jetzt ein Mensch, der erfahren hatte, dass es ein Leben nach dem Tod geben würde, denn er hat Dinge gesehen, die seine ignoranten Kollegen noch immer mit dem Absterben von Gehirnzellen erklären. Aber das ist es nicht, sagt er, der wieder fit im Leben steht und inzwischen darüber Vorträge hält. Es ist eine andere Welt, die mindestens genauso real ist wie die, in der wir leben.

Mir selbst gelingt es nicht, meine ethischen Bedenken aus dem Weg räumen. Ich fürchte, wenn dieses Gesetz ratifiziert werden sollte, dann wird sich mancher nehmen, was ihm nicht gehört.

 

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