Politik und Gesellschaft

Die Macht des gewaltlosen Widerstandes

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Eine amerikanische Politikwissenschaftlerin wollte wissen, wie man am besten ein politisches System zum Einsturz bringt. In einer Studie untersuchte sie deshalb, wie viele Menschen, prozentual zur Bevölkerung, dazu nötig wären, und kam dabei  zu einem erstaunlichen Ergebnis.

 

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Als Erica Chenoweth im Jahr 2006 ihr Promotionsstudium begann, wollte sie eigentlich beweisen, dass nur bewaffneter Widerstand erfolgreich sei. Ihre Vorbilder waren russische, französische, algerische sowie amerikanische Bürgerkriege und Revolutionen.

Nach einer jahrelangen, umfangreichen Untersuchung wurde sie dann allerdings eines Besseren belehrt, denn nach der Auswertung der Daten fand sie heraus:

„Nur gewaltloser Widerstand erweist sich als wirksame Waffe.“

Info: Gewaltlosigkeit als Waffe zu bezeichnen könnte man fast ein Oxymoron nennen. Aber es gibt in der spirituellen Nomenklatur – nicht nur im Yoga – tatsächlich den Begriff des friedlichen Kriegers. Das könnte beispielsweise so aussehen wie das, was wir seit einiger Zeit unseren Lesern empfehlen, die damit, falls sie mitmachen, alle zu „friedlichen Kriegern“ werden:

🔴 Seit einiger Zeit finden wir uns abends um 21:30 Uhr und/oder morgens um 8:00 Uhr zusammen, um gemeinsam die Basis für einen weltweiten, dauerhaften Frieden zu schaffen. Wer sich angesprochen fühlt, mag mit uns einige Minuten lang um eine friedliche, gerechte neue Zeit meditieren oder beten, bitten, sich vorstellen, den Frieden fühlen – so, wie es für Sie am besten passt. Wir haben uns hier den Initiatoren und Lesern des Buches „Nur mit dem Herzen sieht man gut“angeschlossen und freuen uns, wenn auch Sie mitmachen!

Auch die friedlichen Spaziergänger, die man derzeit weltweit sieht, gehören dazu.

Dass dieses Konzept durchaus erfolgreich ist, zeigt das Beispiel aus Armenien vom April 2018. Nach 11 Tagen friedlichem Protest vor dem Parlamentsgebäude, mit Kerzen, Singen, Tanzen und guter Laune gab der Premier auf und das Volk bekam seinen Wunschkandidaten. Hier sieht man die Menschenmassen, die damals auf die Straße gingen:

Armenien: So sieht es aus, wenn das Volk auf die Straße geht und gewinnt – Premier kapituliert nach 11-tägiger Demo von Hundertausenden und tritt ab

Erica Chenoweths Recherchen zeigen zudem, dass nur ein sehr geringer Teil der Menschen, nämlich 3,5 Prozent, sichtbar aktiv sein muss.

Anhand der Ergebnisse, in einem Buch präsentiert, erkennt man, dass demnach circa 96 Prozent einer Bevölkerung sprachlos oder auch eben nur gelangweilt zuschauen kann und sich wahrscheinlich sowieso fragt, was da gerade passiert. Denn zwischen 75 und 80 Prozent der Menschen lassen sich leichter manipulieren, folgen eher dem Narrativ einer Obrigkeit, einer Clique, der Lieblingszeitung, bestätigt durch die Lieblingsgruppen in den sozialen Medien, und scheiden damit (siehe Ash-Experiment)  für etwas, das länger dauern könnte, sowieso aus.

Kennen Sie das Asch Experiment?

Wie würden Sie reagieren, wenn der Versuchsleiter fragt, welche der Linien – A, B oder C – der Länge der Linie im ersten Bild entspricht, wenn 20 Teilnehmer sagen, dass es B ist, Sie aber C sehen? Sagen Sie C, wenn Sie der Einzige wären? Würden Sie glauben, dass nur ein Viertel der Versuchspersonen standhaft geblieben ist und bei 12 Versuchsgängen sich trauten, die richtige Antwort zu geben, während alle anderen umfielen?

Mit anderen Worten: Drei von vier Personen gehen mit der Masse.

Drei von vier Personen trauen sich nicht, zu dem zu stehen, was sie selbst wahrnehmen, sondern machen mit, um nicht aufzufallen. Und das dezimiert sich dann noch mal unter noch mehr Druck. Das ist psychologisch erwiesen.

Die Masse der Menschen wird also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mitmachen, um eine Änderung ungeliebter Verhältnisse zu erwirken.

Was sind nun 3,5 Prozent, umgerechnet auf die Bevölkerungszahl? Bei 100 Millionen Menschen sind das lediglich 3,5 Millionen Menschen, die die Power haben müssen, mitzumachen und am Ball zu bleiben. Denn der Erfolg könne auf sich warten lassen und man müsse wahrscheinlich für längere Zeit am Ball bleiben, haben Erica Chenoweths Analysen ergeben. Bei 80 Millionen Menschen sind es 2,8 Millionen, bei 60 Millionen sind es nur noch 2,1 Millionen, usw.

Damit sollte eigentlich die Bevölkerung jedes einzelnen Landes dieser Erde die Möglichkeit haben, innerhalb der eigenen Grenzen  in ein unliebsames Geschehen einzugreifen.

Zwei Jahre lang sammelte die Politikwissenschaftlerin Daten über alle gewalttätigen und gewaltfreien Kampagnen von 1900 bis 2006, die zum Sturz einer Regierung oder zur Befreiung eines Territoriums führten. Sie erstellte einen Datensatz von 323 Massenaktionen und analysierte fast 160 Variablen in Bezug auf Erfolgskriterien, Teilnehmerkategorien, staatliche Kapazitäten und mehr. Die Ergebnisse stellten ihr früheres Paradigma auf den Kopf, denn es kam dabei heraus, dass der gewaltlose zivile Widerstand wesentlich erfolgreicher war als der gewaltsame.

Einige wesentliche Punkte hat sie, zusammen mit Maria Stephan, einer damaligen Mitarbeiterin des Verteidigungsministeriums, dabei herausgearbeitet.

In ihren eigenen Worten beschreibt sie es so:

(1) Ich denke, dass es auf vier verschiedene Dinge hinausläuft. Das erste ist eine große und vielfältige Beteiligung, die nicht aufgibt.

(2) Zweitens muss [die Bewegung] insbesondere bei den Sicherheitskräften, aber auch bei anderen Eliten Loyalitätsveränderungen bewirken. Die Sicherheitskräfte sind wichtig, weil […] ihr Handeln weitgehend darüber entscheidet, wie gewalttätig die Konfrontation mit – und die Reaktion auf – die gewaltfreie Kampagne am Ende sein wird. Aber es gibt auch andere Sicherheitseliten, Wirtschafts- und Geschäftseliten, staatliche Medien. Es gibt viele verschiedene Säulen, die den Status Quo stützen, und wenn sie gestört oder zur Nichtkooperation gezwungen werden können, dann ist das ein entscheidender Faktor.

(3) Drittens müssen die Kampagnen in der Lage sein, mehr als nur Proteste durchzuführen; es muss eine große Vielfalt an Methoden geben.

(4) Der vierte Punkt ist, dass die Kampagnen, wenn sie unterdrückt werden – was bei denjenigen, die große Veränderungen fordern, im Grunde unvermeidlich ist – nicht entweder im Chaos versinken oder selbst zur Gewalt greifen.

Wenn Kampagnen zulassen, dass ihre Unterdrückung die Bewegung in totale Verwirrung stürzt oder dies als Vorwand benutzen, um ihre Kampagne zu militarisieren, dann unterstützen sie im Grunde das, was das Regime will:  nämlich, dass die Widerständler sich selbst ein Eigentor schießen [wörtlich: auf dem Spielfeld der Gegenseite spielen]. Und sie werden [dort] wahrscheinlich völlig vernichtet werden.

Auf die Frage, ob es eine Möglichkeit gäbe, Widerstand zu leisten oder zu protestieren, ohne sich angreifbar zu machen, antwortet sie:

Die Menschen haben Dinge getan, wie mit Töpfen und Pfannen zu schlagen oder in einen Stromstreik zu treten oder etwas anderes, das dem Regime Kosten auferlegt, auch wenn die Menschen nicht draußen [auf der Straße] sind. Ein längerer Aufenthalt im Haus kommt einem Generalstreik gleich. Selbst begrenzte Streiks sind sehr effektiv. Während der Aufstände in Tunesien und Ägypten gab es sowohl begrenzte als auch Generalstreiks, und sie waren entscheidend.

Planung sei wichtig, damit man diese Zeit wirtschaftlich überlebe.

Dazu gehöre eine monatelange Vorbereitung, in der man Lebensmittelvorräte anlegt, Streikgelder beschafft oder Wege gefunden hat, wie sich die Streikgemeinschaft gegenseitig unterstützen kann.

Selbst gewaltfreie Kampagnen, die kurzfristig scheinbar scheiterten, wären erfolgreich gewesen, in dem Sinne, dass sie gemäßigte Kräfte oder Reformer innerhalb der Regierenden gestärkt hätten, die nun nach und nach begannen, Veränderungen einzuleiten und das Gemeinwesen zu liberalisieren.

Erica Chenoweth meinte im Interview: Auch wenn nur 3,5 Prozent der notwendigen Population für ein erfolgreiches Ergebnis und damit dem Umschwung stehen würden, so würde das bedeuten, dass das in den USA 11,5 Millionen Menschen wären. Es sei also nicht wirklich eine kleine Menge, sondern in absoluten Zahlen eine wirklich beeindruckende Zahl von Menschen nötig. Auch rechnet sie mit bis zu 18 Monaten aktivem Widerstand. Es habe sich gezeigt, dass Länder innerhalb von fünf Jahren zu Demokratien geworden sind, wenn es einen friedvollen, gewaltfreien Widerstand gegeben hat. Und zwar unabhängig davon, ob dieser Widerstand auf den ersten Blick erfolgreich war oder nicht.

Info: Das ist sicherlich korrekt für den Zeitraum, für den die entsprechenden Ereignisse untersucht wurden. Allerdings hat sich insbesondere durch und nach Trump und mit Biden eine Menge verändert. Laut Umfragen wünschen sich mehr als 50 Prozent aller Amerikaner, dass eine Änderung in der Politik vorgenommen werden würde. Joe Biden hat nach neuesten Erhebungen linksgerichtete Publikationen nur noch eine Zustimmungsrate von 33 Prozent. Bei Jugendlichen soll sie sogar nur bei 22 Prozent liegen. In den USA könnte es deshalb möglich sein, sogar mehr als 3,5 Prozent der Bevölkerung zu aktivieren.

Allerdings würden die Erfolgszahlen allmählich zurückgehen.

Erica Chenoweth glaubt, dass das mit dem digitalen Zeitalter zu tun hat, welches auch dem Regime enorme Möglichkeiten biete. Hier nennt sie gezielte, differenzierte Unterdrückung, die effektiver sei als die stumpfe, brutale Gewalt, die auf der Straße ausgeübt würde.

Sie nennt ein Beispiel aus dem Sudan aus dem Jahr 2011, wo 17.000 Menschen über Facebook in eine Falle gelockt wurden, an deren Ende die Polizei stand und einen nach dem anderen verhaftete.

Das Problem sei, dass Zahlen allein nicht ausreichen, um Veränderungen herbeizuführen.

Es bestünde die Gefahr, dass die Menschen annehmen könnten, dass Massenaktionen nicht funktionieren, wenn viele Menschen auf die Straße gehen und sich nichts ändert. Das sei eine völlig falsche Schlussfolgerung, die man ziehen sollte. Menschen auf die Straße zu bringen sei ohne eine Strategie nicht unbedingt die effektivste Sache. Es benötigt einen gemeinsamen Plan. Organisieren bedeute nicht, mal eben auf Facebook eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, anstatt tatsächlich die Arbeit zu leisten, die Bevölkerung auf einen eventuell jahrelangen Kampf vorzubereiten. Im Buch zum Thema sei eine solche Organisation beschrieben, die manchmal eine jahrelange Vorbereitung bedeute, bevor die Menschen bereit wären, tatsächlich mitzumachen.

Jetzt könnte dem einen oder anderen klar werden, warum ein Whistleblower namens Q so sehr verfolgt wurde und man sogar versuchte, ihm terroristische Absichten zu unterstellen. Denn dieser Q ist nach eigener Aussage Teil der größten militärischen Geheimdienstoperation und hat über mehr als drei Jahre hinweg nichts anderes getan, als länderübergreifend eine solche Gemeinschaft von Menschen aufzubauen.

Gewaltfreiheit mache es den Aktivisten leichter, große Teile der Bevölkerung für ihre Ziele zu gewinnen.

Bei diesem Konzept würden dann auch eher ältere Menschen mitmachen, die Orte mit gewaltsamer Auseinandersetzung normalerweise vermeiden würden, und auch die Polizei würde sich mehr zurückhalten.

„Die große Anzahl bei friedfertigen Protesten lähmt dagegen den Einsatzwillen von Polizei und Militär, gewalttätige Aktionen stärken ihn.“

„Es reicht allerdings nicht aus, wenn 3,5 Prozent die Bewegung im stillen Kämmerchen unterstützen, diese 3,5 Prozent müssen aktiv werden.“

Hier erklärt es Erica Chenoweth selbst. Deutsche Untertitel sind einstellbar.

Ein Kommentar: Dies ist zweifellos die wertvollste Forschung im Bereich der internationalen Beziehungen seit der Entstehung des Fachgebiets [Politik] selbst.

So, wie es aussieht, könnte Erica Chenoweths Arbeit wegweisend für erfolgreiches Protestieren sein. 

Es zeigt, dass die Menschen nicht machtlos sind, wenn sie es richtig machen. Wenn sie gründlich und gemeinsam planen und sich vorbereiten. Es erklärt auch, dass der Erfolg nicht von heute auf morgen kommt, sondern dass man manchmal einen langen Atem haben und stetig dabeibleiben muss. Dies sollte man unbedingt wissen, um weiterhin die Motivation aufrechtzuerhalten, wenn es dauert. Und es geht nur mit vielen, die mitmachen. 3,5 Prozent klingt wenig. 2,8 Millionen, die dauerhaft am Ball bleiben müssen, das ist eine andere Hausnummer.

Nun weiß man also: Wenn man eine Veränderung – welche auch immer – wünscht, von der man glaubt, dass sie nur über Proteste zu erreichen ist, dann sollte man sich nicht auf andere verlassen, die das schon für einen erledigen, sondern selbst die Verantwortung übernehmen.

Es wird Fluktuationen geben, aber – das fand die Studie offenbar zweifelsfrei heraus, es muss dauerhaft eine gewisse Anzahl der Bevölkerung sichtbar hinter der Sache stehen, sonst wird das nicht klappen. Das sind dann 3,5 Prozent der Gesamtpopulation, die wirklich dahinterstehen und nicht nur drüber reden.

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass friedliche Aktionen, in Zahlen ausgedrückt, fünf Mal erfolgreicher sind als gewaltsamer Protest. Man darf den begleitenden Ordnungskräften keine Möglichkeit geben, einzugreifen.

Friedliche Menschen auf den Straßen, die den Frieden ausstrahlen, den sie sich wünschen, werden, so wie es aussieht, am Ende erfolgreich sein.

„Wir schreiben gerade Geschichte.
Sie sind/ihr seid die Retter der Menschheit.
Nichts wird aufhalten, was kommen wird.
Nichts.“ Q

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Weiterführende und ergänzende Links zum Thema:

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